Goodbye, Selbstwert – Wenn nur mehr wichtig ist, was andere denken
„Mir doch egal, was andere über mich denken!“ Große Worte, wenn sie nur so einfach umzusetzen wären. Denn als soziale Wesen ist es unser Bedürfnis, Akzeptanz bei Mitmenschen zu finden. Selbst jene, die praktisch gegen alles aufbegehren und sich abgrenzen, haben Gruppen, denen sie sich zugehörig fühlen. Doch ab wann wird es ungesund, immer darüber nachzudenken, was andere denken?
Dazugehören um jeden Preis?
Wer kennt es nicht – es gibt Menschen, denen wir gefallen möchten und deren Anerkennung wir suchen. Wir passen uns an, gleichen sogar unsere Argumente an die Einstellung dieser Menschen an. Oft handeln wir aus reinem Opportunismus, um zu einem Vorteil zu gelangen. Viel öfter treibt uns jedoch die Angst vor sozialer Ausgrenzung, die Angst, anders zu sein und nicht dazuzugehören. Das kann so weit gehen, dass wir eigene Werte verraten, nur um anderen zu gefallen. Mit der Zeit belastet das. Wir schauen uns in den Spiegel und sind nicht zufrieden – weil wir nicht integer handeln.
Menschen, die sich über einen langen Zeitraum anpassen, opfern dafür Stück für Stück ihre Selbstbestimmung. Anfangs bemerken sie es gar nicht, doch mit der Zeit wird die Unzufriedenheit größer und geht in negative Glaubenssätze über („Wer bin ich schon?“ „Mich nimmt doch eh keiner ernst!“). Das wiederum äußert sich häufig in Zynismus, Sarkasmus oder Aggressivität. Die Spirale dreht sich und es wird immer schwieriger zu entkommen.
So bin ich eben!
Die Reaktion darauf ist zweigeteilt: Auf der einen Seite gibt es jene Menschen, die diese Entwicklung gar nicht erkennen. Sie sehen nicht, dass ihre Unzufriedenheit auf diese Spirale zurückzuführen ist. Ihr Leitsatz: „So bin ich eben einmal!“ Hier hören wir zwar eine bestimmte Rebellion heraus, jedoch ohne die Erkenntnis und Bereitschaft, etwas daran zu ändern.
Auf der anderen Seite erleben Menschen nach Jahrzehnten der Anpassung das Gefühl, etwas verändern zu müssen. Die Unzufriedenheit wird zum Druck, der ein Ventil fordert: „Jahrelang habe ich klein beigegeben. Jetzt reicht es mir!“ Plötzlich ecken diese Personen an, beenden mit oft brachialem Vorgehen lange Freundschaften und Beziehungen.
Dass weder schleichender Zynismus noch die soziale Brechstange auf Dauer glücklich machen, liegt auf der Hand. Doch wie können wir dem Angepasstsein entkommen und zurück zu Selbstbestimmung und beherztem Argumentieren der eigenen Werte finden?
Einem jeden recht getan…
Im Coaching arbeiten wir zum Beispiel mit Erlauber-Sätzen. Sie kommen aus der psychologischen Methode der Transaktionsanalyse, die sich – einfach erklärt – mit inneren Antreibern und Kommunikationsmustern beschäftigt. Ziel ist es, Autonomie zu erreichen: eine bewusste, selbstbestimmte Entwicklung der Kommunikation.
Wer etwa empfindet, von dem Leitsatz „Mach es allen recht!“ durchs Leben getrieben zu werden, kann diesen Satz durch Erlauber aufbrechen: „Ich muss nicht bei allen beliebt sein“, oder „Wer Ja sagt, darf auch Nein sagen“. An diese Erlauber knüpfen wir konkrete Situationen, in denen integeres Handeln geübt wird. Etwa beim nächsten Familienessen, wenn automatisch alle erwarten, dass Mama aufspringt, wenn etwas fehlt. Oder unter Freunden, wenn wieder klar ist, dass Andreas drei Tage lang beim Ausmalen hilft – hat er doch bisher so gemacht.
Wer in konkreten Situationen trainiert, vergrößert Schritt für Schritt seine Selbstbestimmung – ohne dabei andere vor den Kopf zu stoßen. Und plötzlich ist es selbstverständlich, zu den eigenen Werten zu stehen, engagiert zu argumentieren und ein ganz neues Lebensgefühl zu entdecken.
Neugierig auf mehr rhetorische Integrität und Selbstbestimmung? Jetzt Rhetorik-News abonnieren.